SÜS - TISCH Arbeitsbeschreibung
Das türkische Wort SüS kann mit Zierde, Muster, Ornament übersetzt werden. Ähnlich wie „Anna“ kann es von vorn wie auch von hinten gelesen werden. Das Wort SüS ist selbst ein Muster. Es bildet sich selbst ab. Es ist Form und Benennung der Form zugleich.
Ich habe fünf Formen zur Verfügung und einen drei mal sechs Meter großen Tisch. Der Tisch ist aus einfachen Tapeziertischen zusammengeschraubt. Er ist eine Unterlage, keine Präsentationsfläche. Auf ihm gibt es Skalen an denen man sich orientieren kann, drei Meter in zehn Zentimeter schritten. Die Skalen verschwinden unter den Formen. Die Formen sind die fünf Girih-Platten. Diese stammen aus der osmanischen Welt des zwölften Jahrhunderts. Aus ihnen bestehen alle geometrischen Ornamente der osmanischen Welt. Aus der Einfachheit entsteht eine enorme Komplexität und scheinbar unendliche Möglichkeiten der Kombinationen.
1.
Ich beginne irgendwo auf dem Tisch, lege eine der Formen hin. Um diese Form lege ich, im Winkel passend, andere Formen bis sich der Kreis schließt. So arbeite ich mich voran. Aus den Formkombinationen ergeben sich andere Formen die ich weiter verfolge. Die Winkel werden immer komplizierter, so dass ich bestimmte Kombinationen aus Formen finden muss, um die Kreise schließen zu können. Ich kann bestimmen, welche Muster ich lege. Doch um von Muster zu Muster zu kommen, muss ich zunehmend mehr Umwege in Kauf nehmen. Diese bilden auch Muster, die ich nicht vorbestimmen kann. Sie werden mir als Konsequenz des von mir bestimmten Musters auferlegt. Je weiter ich mich nach Außen arbeite um so mehr nehmen die nicht beeinflussbaren Muster zu.
Ist vom ersten Stein an alles vorbestimmt? Wo ist der Punkt an dem die Freiheit des Legens übergeht in ein absolutes System aus Winkeln, Ecken und Kombinationen? Ist dieses absolute System unendlich? Bricht es mit den größer werdenden Kreisen und der geringen Anzahl von Winkeln auf?
Ich breche das Spiel zwischen Freiheit und Zwang ab. Ich höre auf weitere Steine zu legen, lasse aber die Möglichkeit der Erweiterung.
Die Formen bestehen aus Salz, Mehl und Wasser. Der Salzteig war für mich das einfachste Material um die Girih Bausteine zu formen. Salz, Mehl und Wasser ist immer vorhanden. Die geringe Hitze, die zum Backen der Plätzchen benötigt wird, kann mit einem kleinen Feuer erzeugt werden. Das Salz macht den Teig haltbar. Das Lebensmittel ist nicht mehr genießbar. Es dient als Material. Die Nahrung für den Mund wird zur Nahrung für die Hand und das Auge.
Ich habe Ausstechformen aus Blech gebogen und jede einzelne Kachel mit Lack bemalt. Der lasierende Lack liegt glänzend und feucht auf dem Teig. Alle fünf Kacheln bekamen eine andere Farbe: blau, grün, rot, gelb und schwarz. Die Farben dienen zur Unterscheidung der einzelnen Form. Ich habe möglichst den mittleren Farbwert gewählt.
Das Ornament ist nicht im gesamten zu erfassen. Der Tisch überspannt fast die gesamte Fläche des Raumes. Ein schmaler Gang zwischen Tisch und Wand ver- bleibt so dass kein Abstand zum Ornament gewonnen werden kann. Die einzel- nen Plätzchen liegen direkt vor einem, man kann sie in die Hand nehmen und ausprobieren. Das Ornament dehnt sich vom Standpunkt des Betrachters in den Raum aus. Nur durch das Wandern mit den Augen über das Ornament setzt es sich für ihn zusammen. Der Standpunkt ist eine neue Mitte.
Der Raum bestimmt die Größe des Tisches und somit auch die des Ornaments. Die Zeit des Bestehens ist die Zeitlichkeit der Ausstellung. Danach ist die Form verloren.
2.
An zufälligen Orten des Tisches liegt eine der fünf Girih-Formen. Aus ihnen wachsen fünf unterschiedliche Ornamente. Jedes hat seine eigenen Regeln. Je mehr die Ornamente wachsen, je näher kommen sie sich. Die Letzte Form vor der Berührung passt nicht mehr. Ein Lücke entsteht. Welches Ornament gibt den weiteren Verlauf der Lücke vor? Ab und zu scheint eine der Fünf Girih-Formen zu passen. In diesem Moment wachsen die Ornamente zusammen. An dem Punkt entsteht Chaos. Erst nicht zu erkennen. Doch je weiter die Ornamente zusammen wachsen, um so mehr Chaos entsteht.
3.
Ich gebe dem Bäcker nur die Anweisung, dass der Mürbeteig die Fünf Girih-Formen haben soll, jede Form einen anderen Geschmack und eine andere Farbe hat. Wenn ich die Girih-Cookies vom Bäcker bekomme, sehe und schmecke ich sie das erste mal. Ich lege das Ornament nach meinen Geschmack und gebe es dann frei zum Verzehr. Um so mehr Cookies gegessen werde um so mehr löst sich das Ornament auf. Je nach Geschmack gehen die Cookies vom Tisch. Bis die Logik des Ornaments nicht mehr funktioniert. Jeder, der ein Teil gegessen hat, ist Teil des Ornaments.
Das Ornament besteht weiter im Einzelnen. Die Einzelnen bilden zusammen ein neues Ornament.